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Axel Ackermann, Leipzig

Vom Inklusionssport kann die Gesellschaft lernen, sich auf etwas einzulassen.

Gesichter der Inklusion

Mein Name ist Axel Ackermann, ich bin Anfang 50, verheiratet und habe drei Töchter. Alle schon relativ groß. Ich bin aktuell der Leiter des Projektes „inklusiver Kinder- und Jugend Sport in Leipzig“. Das Projekt der Berufsbildungswerk Leipzig für Hör- und Sprachgeschädigte gGmbH (BBW-Leipzig-Gruppe) wird von Aktion Mensch gefördert. Die Leipziger Vereinssportlandschaft ist vielfältig – nicht jedoch für Kinder und Jugendliche mit Behinderung. Von den derzeit knapp 400 Leipziger Sportvereinen halten gerade mal ca. 15 Prozent Angebote im Rahmen des Behinderten- und Reha-Sports vor. Dies sind jedoch in den meisten Fällen Angebote ausschließlich für Menschen mit Behinderung. „Echte“ inklusive Sportangebote sind kaum vorhanden oder sie sind nicht ausreichend bekannt.

Ich möchte mehr bieten als nur Barrierefreiheit. Ich möchte wirkliche Inklusion umsetzen, und dass Kinder und Jugendliche die Chance bekommen, Sport zu treiben.

Ich selbst bin über einen länger andauernden Prozess zur Inklusion gekommen. Vor vielen Jahren kam ich zum Fan-Radio für RB Leipzig. Und irgendwann haben wir uns gefragt, ob ein Mensch mit Sehbehinderung uns auch folgen kann? Wir haben ein paar Fans mit einer Sehschädigung dazu genommen und gefragt: Ist das gut, was wir da machen und was können wir verändern, damit ihr dem Ball folgen könnt? Daraus hat sich dann meine 10jährige Tätigkeit als Inklusionsbeauftragter beim Fußballverein RasenBallsport Leipzig entwickelt. Von dort komme ich, und habe dort viel für die Barrierefreiheit im Stadion erreicht. Corona hat alles verändert und ich wollte mich neu orientieren. Dabei bin ich dann auf dieses Projekt der BBW-Leipzig-Gruppe gestoßen und habe festgestellt: Genau das ist es, was ich machen will. Ich möchte mehr bieten als nur Barrierefreiheit. Ich möchte wirkliche Inklusion umsetzen, und dass Kinder und Jugendliche die Chance bekommen, Sport zu treiben. In welcher Form auch immer.

Im Stadion von RB Leipzig konnte ich schon viel vorantreiben, so gibt es sehr viele Plätze für Menschen mit Seh- und Hörbehinderung, Fans mit geistiger und körperlicher Behinderung, usw.

Wir haben drei Schwerpunkte, die wir bearbeiten: Netzwerken, Zusammenführen und die inklusive Fußballliga.

Nun möchte ich noch mehr erreichen und diese Chance gibt mir das Projekt „inklusiver Kinder- und Jugend-Sport in Leipzig“. Seit August 2021 bin ich für die nächsten fünf Jahre Projektleiter. In unserem Projekt sehen wir die Möglichkeit alles zusammenzuführen. Wir haben drei Schwerpunkte, die wir bearbeiten: Netzwerken, Zusammenführen und die inklusive Fußballliga.

Im Rahmen des Projektes sollen ein regionales Netzwerk aufgebaut, vorhandene Angebote erfasst und gemeinsam weiterentwickelt werden. Dafür werden gezielt Vereine angesprochen; bei Bedarf erhalten Vereine Beratung und Qualifizierung beim Aufbau inklusiver Sportangebote. Regionale Partner innerhalb der Stadt Leipzig sowie relevante Verbände sollen in regelmäßigen Treffen zusammengebracht werden.

Zusammenführen. Es ist tatsächlich so, dass Eltern oder Kinder zu uns kommen und sagen, ich habe die und die Behinderung oder Beeinträchtigung, ich möchte aber gern z.B. Badminton spielen. Dann schau ich in welchem Verein das möglich sein könnte. Passt das Kind oder der Jugendliche in die entsprechende Gruppe?

Als Beispiel haben wir einen 16-Jährigen in eine Freizeitgruppe vermittelt, in der nur Erwachsene sind, weil es mit Kindern seines Alters nicht optimal ist und er dort das passende Umfeld findet.

Es kommen auch Vereine auf uns zu und sagen, welche Vorstellungen sie haben. Wir sind also eine Art Vermittler. Das Hauptaugenmerk liegt dabei darauf, dass die jungen Menschen in Regelsportgruppen kommen, also unter Menschen, die keine Beeinträchtigung haben. Der 16jährige Autist ist in einer Sportgruppe, in der noch ein Sportler mit Hörbehinderung und ein Sportler mit Aufmerksamkeitsstörung ist. Ansonsten sind dort alle Teilnehmenden viel älter als er, und es ist eine sehr homogene Gruppe, in die er sehr gut passt.

Das ist der klassischen Freunde- oder Werkstattfußball. Jugendliche mit und ohne Behinderung spielen gemeinsam in einer Mannschaft.

Der dritte Schwerpunkt ist der Inklusionsfußball. Der Fußball hat eine unheimliche Strahlkraft. Und gerade hier in Leipzig, mit RB in der Bundesliga und Champions League, ist die Verbundenheit sehr groß. Ich habe schon das ein oder andere Turnier für Kinder und Jugendliche mit und ohne Behinderung veranstaltet. Das ist der klassischen Freunde- oder Werkstattfußball. Jugendliche mit und ohne Behinderung spielen gemeinsam in einer Mannschaft. Alle spielen grundsätzlich aus Spaß an der Freude, aber es gibt auch richtige Landes- und überregionale Ausscheide. Diese Regionalmeisterschaft wurden dann zum Beispiel bei RB Leipzig ausgerichtet.

Beim Freunde-Fußball gilt ein eigenes kleines Regelwerk. Es müssen z.B. immer zwei mit Spieler*innen mit einer Beeinträchtigung auf dem Feld sein. Es gibt so eine Art Ehrenkodex im Freunde-Fußball, der bestimmte Regeln vorschreibt. Die Mannschaften einigen sich im Vorfeld auf welche Teile des Ehrenkodex sie sich beziehen. Die Spielzeit wird festgelegt, oder wie eine Ecke getreten oder eingerollt wird. Oder wenn eine Mannschaft zu stark ist und nach kurzer Zeit z.B. 6:0 führt, dann nehmen sie einen Spieler raus, oder geben einen guten Spieler an die andere Mannschaft ab, damit ein gewisses Gleichgewicht wiederhergestellt wird.

In den Sportgruppen spielt auch das Geschlecht keine Rolle. Es ist alles offen für alle. Einige wenige Mädchen mit einer Behinderung spielen momentan beim Freunde-Fußball mit, aber es gibt noch keine echten Daten dazu.

Das Ziel ist eigentlich, dass Kinder und Jugendliche zu einem Sportangebot kommen, wiederkommen und dann auch dortbleiben.

Wir sind noch am Anfang des Projektes und können deshalb über den Erfolg noch nicht so viel sagen. Wir haben bereits einige Kinder und Jugendliche in Sportvereine bringen können. Das klappt bisher auch ganz gut. Das Ziel ist eigentlich, dass Kinder und Jugendliche zu einem Sportangebot kommen, wiederkommen und dann auch dortbleiben. Das ist der größte Erfolg.

Wir begleiten die Sportler beim ersten Mal und stehe danach weiterhin mit ihnen und dem Verein oder den Übungsleitern in Kontakt. Ich stehe beratend zur Seite, vor allem bei Vereinen die unschlüssig sind, ob sie inklusiven Sport anbieten möchten.

Im Sport kann man Inklusion sehr gut leben. Jeder, der in seinem Verein Sport treibt, der kann einfach hinkommen, unabhängig was im beruflichen oder privaten Umfeld passiert ist. Jeder ist im Sportverein willkommen, und dass alles auf einer gemeinsamen Ebene. Im Verein ist man auch prinzipiell per Du. Das ist der Einstieg, ob ich nun eine Behinderung habe oder nicht. Das ist etwas, was es für die Inklusion deutlich einfacher macht. Einfacher, als z.B. mit einer Behinderung in einen bestimmten Beruf zu kommen.

Vom Inklusionssport kann die Gesellschaft lernen, sich auf etwas einzulassen.

Das wichtigste bei diesem Projekt, und dafür steht auch die BBW-Leipzig-Gruppe, ist die Nachhaltigkeit. Also das nichts, was wir machen, zeitlich begrenzt ist, sondern auch nach den fünf Jahren Förderungöweiterbesteht. Z.B. soll die Freunde-Fußball Liga dann für sich selbst laufen. Sie ist dann beim Fußballverband angesiedelt und die Vereine wissen, was zu machen ist. Ein weiteres Ziel ist es, einen Ausschuss Inklusion zu schaffen, der das alles am Laufen hält.

Vom Inklusionssport kann die Gesellschaft lernen, sich auf etwas einzulassen. Das vorurteilsarme Einlassen auf Dinge, das ist das, was im Sport funktioniert. Es kommt ein Kind oder ein Jugendlicher, der hat ein Defizit und kommt zu uns, und wir machen dann einfach. Das ist etwas, was im „Rest des Lebens“ nicht funktioniert - was in Schulen teilweise schwierig ist, in der Ausbildung und im Beruf sogar noch schwieriger. Wenn dort viel mehr Menschen offener werden würden, wäre vieles einfacher. Es würden viel mehr Möglichkeiten entstehen. Wenn alle begreifen, dass die Inklusionszahl 1 ist, dann haben wir alles richtig gemacht. Das wird sicher noch lange dauern, weil wir in einer Welt von Zahlen und Fakten leben. Auch leistungsorientiert, keine Frage, aber es heißt ja nicht, dass jemand der eine Behinderung hat, nichts leistet. Die Frage ist, was traue ich ihm zu, wie viel seiner Leistung hilft mir, wie stärke ich sein Selbstbewusstsein, damit er mehr schafft.

Der Sport und das Vereinsleben stärken das Selbstbewusstsein. Auch wenn man selbst keinen Sport treibt, gibt es verschiedene andere Aufgaben, die erledigt werden müssen. Da findet sich immer etwas, was z.B. auch ein Mensch mit einer Beeinträchtigung machen kann. Es gibt so viele Möglichkeiten, jemanden im Verein mit einzubeziehen. Man muss sie nur lassen. Man muss ihnen das Zutrauen und ihnen die Chancen geben. Dann hat man unheimlich viel gewonnen. Und gerade wenn Vereine sagen: Wir haben einen Mitgliederschwund. Dann ist dort die Chance, dass man wieder mehr Menschen in die Vereine bringt. Man muss nur Neues wagen. Wenn man sich öffnet kommen neue Menschen dazu, die dann auch bleiben. Meist ist das nicht nur einer, sondern die ganze Familie.

Ich würde mich sehr freuen, wenn wir gemeinsam noch mehr Inklusion erreichen und das Projekt dazu beitragen kann!

Link zur Webseite des Projektes: https://www.ikjs-leipzig.de/

Interview geführt am: 30.11.2021

Interview veröffentlicht am: 26.01.2022