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Clara

Clara: Ich habe das Down-Syndrom. Ich bin damit zufrieden. Man muss keine Angst haben, und es tut nicht weh. Ich bin besonders und normal.

Gesichter der Inklusion

Clara: Ich bin Clara Sophie. Ich gehe in die 9. Klasse der Montessori-Oberschule. Ich mache die 9. Klasse zu Ende, und dann mache ich ein Berufsvorbereitungs-Jahr, Richtung Kindergärtnerin oder Sozialpädagogin.

Claras Mutti: Dort wird praktisch geschaut, ob sie überhaupt dazu in der Lage wäre. Wo ihre Stärken und wo ihre Schwächen sind, was sie für Arbeitsbedingungen bräuchte. Optimaler Weise wüssten wir das dann nach anderthalb Jahren. Und dann haben wir vielleicht auch schon einen Betrieb, der sagt: „Ja, wir würden Clara nehmen“, so dass sie eine theorie-reduzierte Berufsausbildung machen könnte.

Clara: Ich habe das Down-Syndrom. Ich bin damit zufrieden. Man muss keine Angst haben, und es tut nicht weh. Ich bin besonders und normal. Alle möglichen Sachen machen mich besonders. Zum Beispiel bin ich gern in der Schule. Ich habe in Limbach gelernt zu rechnen, zu lesen und zu schreiben. Ich lerne gern und bin sehr wissbegierig, weil ich mir alles merken kann. Das macht mir Spaß. Ich mag sehr viele Fächer. Meine Lieblings-Fächer sind zum Beispiel, sagen wir mal, Informatik oder Biologie oder Geschichte und Geografie. Mathe ist ein schwieriges Fach, aber trotzdem kriege ich das hin. Ich mag Zahlen und Codes. Ich kenne mich auch gut mit dem Computer aus, weil ich Informatik gehabt habe.

Claras Mutti: Und weil junge Leute sich grundsätzlich für Computer interessieren. Die Clara kennt sich mit TikTok, Instagram und Facebook und allem anderen tausendmal besser aus als wir.

Clara: Ich kucke mir gern TikTok an. Und ich mag Geschichte und Geographie, weil es einen verbindet, auch mit Religion und Naturwissenschaften.

Clara: Ich kucke mir gern TikTok an. Und ich mag Geschichte und Geographie, weil es einen verbindet, auch mit Religion und Naturwissenschaften. Ich lese auch gern, vor allem Bücher von Dan Brown. Das ganze Thema der Freimaurerei, und die Symbole, die sind überall. Das ist keine Fiktion, sondern nur Fakten und Tatsachen.

Claras Mutti: Als wir in Rom waren, haben wir uns auf Dan Browns Spuren begeben, von dem Film „Illuminati“. Der Film und das Buch waren die Inspiration. Wir hatten eine ganz nette Reiseführerin durch Rom, und die haben wir kurz gefragt. Und sie sagte: ‚Ich mache das, wir gehen genau dort entlang.‘

Clara: Ich helfe gern. Ich helfe immer in der Klasse, egal was sie haben. Sie kommen einfach zu mir, oder sie reden mit mir, wenn sie Hilfe brauchen. Jetzt haben wir gerade Chemie gehabt, und sie sollen über Sodbrennen schreiben, also ein Protokoll. Das ist ein Experiment. Ich hatte das schon als Thema.

Claras Mutti: Woran liegt das, Clara, dass du das machen kannst? Das muss man erklären. In der Grundschule hatten wir noch den Förder-Schwerpunkt „Geistige Beeinträchtigung“. Nach der Grundschule haben wir den Förderschwerpunkt gewechselt, weil die Clara so super rechnen, schreiben und lesen gelernt hatte, dass die Lehrer uns gesagt haben: „Wir würden es probieren“. Darum haben wir die vierte Klasse wiederholt und versucht, in den Bereich zu kommen, dass wir ab der fünften Klasse in einer Klasse für lernbeeinträchtigte Kinder mitlernen können. Das hat Clara auch geschafft.

Dann waren wir auf der Förderschule für lernbeeinträchtige Kinder in Auerbach. Weil es uns dort nicht so gut gefallen hat, sind wir nach einer Weile wieder weg und sind in die Montessori Oberschule. Dadurch musste Clara aber die 5. Klasse noch einmal machen, weil das Lernen in der Montessori-Schule ganz anders abläuft. Dann ist Clara mit ihrer Klasse bis zum Ende der 9. Klasse mitgegangen. Dann wäre für Clara die Schule eigentlich zu Ende, weil wir ja nur Richtung Hauptschul-Abschluss gelernt haben. Laut Gesetz haben „inklusiv“ beschulte Kinder mit dem Förderschwerpunkt Lernen dafür 10 Schuljahre Zeit. Dadurch konnten wir die 9. Klasse auf zwei Schuljahre ausdehnen. So konnte sie im vergangenen Schuljahr schon viel erledigen, so dass wir dieses Jahr gar nicht mehr so viel zu tun haben. Clara ist jetzt in einer neuen 9. Klasse. Ihren neuen Mitschülern kann sie also in vielen Fächern helfen, weil sie die ganzen Arbeiten schon geschrieben hat.

Clara: In meiner neuen Klasse komme ich sehr gut zurecht. Das Besondere an der Montessori-Schule ist, dass da sehr viel System dahintersteckt.

Clara: Ich bin die Älteste, ich bin jetzt 19. Die anderen sind 14 oder 15 Jahre alt. In meiner neuen Klasse komme ich sehr gut zurecht. Das Besondere an der Montessori-Schule ist, dass da sehr viel System dahintersteckt. Wir haben ganz viel Freiarbeit und müssen ganz viel selbst planen, was wir schreiben. Zum Beispiel Klassenarbeiten oder Tests. Wir machen sehr viel Wochenziel-Planung. Meine Schule ist eine inklusive Schule. Es gibt auch ‚normale‘ Kinder. Wir haben auch ukrainische Kinder aufgenommen. Die lernen bei uns Deutsch und auch Englisch. Sie machen auch sehr viel Mathe.

Ich bin ganz lustig. Ich lache gern und bin sehr offen. Ich war in Limbach beim Cheerleading, da war ich bei den „Pink Linos“ und später bei den „Blue Monties“. So habe ich auch angefangen. Dann bin ich in Auerbach zu den „Red Maniacs“ gewechselt. Das ist eine inklusive Mannschaft. Mit der waren wir zum Beispiel in Dresden und Wolfsburg. Wir haben sehr viele Preise geholt. Wir sind auch noch Vize-Meister geworden. Seit elf Jahren mache ich jetzt Cheerleading, musste aber leider nun aufhören. Und seit 2018 mache ich noch in der Theatergruppe „Voll normal“ mit.

Claras Mutti: Clara hat sehr viele gesundheitliche Beeinträchtigungen, die mit der ganzen Grundproblematik einhergehen. Eine ist erst jetzt dazugekommen, vor circa drei Jahren. Die hat dieses regelmäßige Training nahezu unmöglich gemacht. Wir haben immer in großen Abständen gefehlt, und das ist natürlich in so einem Programm, wo alles miteinander trainiert werden muss, schwierig. Wenn sie beispielsweise nicht da ist, dann kann die Pyramide nicht gebaut werden. Da gab es halt Diskrepanzen, wo ich einfach sage: „Wenn ich mich Inklusionsteam nenne, muss ich meines Erachtens auch beachten, dass da noch mehr dazugehört.“

Der Leistungscharakter, der steckt überall drin. Das ist im Sport wirklich ein ganz, ganz großes Problem. Ich finde Sport sehr gut und wichtig. Und ganz wichtig ist es, dass in einem Inklusions-Team das Verhältnis von Menschen mit und ohne Beeinträchtigung ausgewogen sein muss. Sie dürfen nicht in der Unterzahl sein, weil dann der Leistungscharakter viel zu stark in den Fokus gerückt wird. Sondern Sinn und Zweck von Inklusionsteams ist, was wir bei den Special Olympics Nationale Spiele in Berlin jetzt gesehen haben. Das sind für mich wirkliche Inklusionsteams. Gerade die Menschen mit einer Beeinträchtigung sind mit so viel Freude dabei. Das Training ist aber so ein hartes Programm, dass es eine Gratwanderung für Clara war. Aber irgendwann bekommen wir vielleicht ein Cheerleaderteam zusammen, wo Clara vielleicht die Co-Trainerin sein könnte, und dann wird wirklich der Grundgedanke ausgelebt.

Clara: Jetzt konzentriere ich mich aufs Theater. Wir haben zusammen mit Steffi Liedke schon einige Theaterstücke gemacht. Das ist ein längeres Projekt gewesen. Das haben wir im Theater Plauen-Zwickau aufgeführt. Das hat mir Spaß gemacht. Dann kam Corona, da haben wir das Stück „Sterne leuchten nicht nur am Himmel“ sogar digital aufgeführt.

Claras Mutti: Jeder, der mitgespielt hat, hatte praktisch das komplette Stück zu Hause. Und dann hat sich Clara Mittwochnachmittag in ihr Zimmer vor ihr Tablet gesetzt. Dann wurde sie von Margitta Bischof und Steffi Liedke per ZOOM eingeladen, um in kleinen Gruppen zu üben. An dem Tag, an dem die Aufnahme dann vereinbart wurde, haben wir Claras Zimmer mit Bettlaken verhangen, damit man den Rest ihres Zimmers nicht sieht.

Clara: Ja, da musste ich ganz viel Text lernen. Ich kann mir alles merken, aber wenn längere Sätze sind, dann nicht so. Unser neues Stück heißt „Vier-Tassen-Familien“, und das führen wir Ende Juni auf, im Theater auf der kleinen Bühne. Eine Aufführung direkt im Theater ist schöner als digital.

Claras Mutti: Im Digitalen ist halt jeder so für sich. Sie hatten dann auch zusätzlich immer noch eine WhatsApp-Gruppe. Da gab es dann auch schon mal an einem Tag an die 600 Nachrichten über zwei, drei Stunden.

Clara: In der Schule habe ich eine Assistenz. Als Corona war, war auch eine Assistenz da. Aber erst bei der zweiten Corona-Zeit. In der ersten Corona-Zeit war keine Assistenz erlaubt. Als wir alle zu Hause waren, hatten wir LernSax. Die haben viele Aufgaben geschickt, was wir machen sollen. Das muss man schon alleine machen. Aber wenn man Hilfe braucht, braucht man Hilfe.

Claras Mutti: Dein Bruder hatte jeden Tag mit seinen Lehrern Video-Konferenzen. Die Lehrer waren in der Schule mit Video-Kamera an der Tafel und haben den Unterricht mit den Kindern gemacht. Die Klasse wurde in zwei Gruppen aufgeteilt, damit die Gruppen kleiner sind. Das war sehr gut. Der eine Teil hatte vormittags und der andere Teil nachmittags Unterricht. Das habt ihr euch immer gewünscht.

Clara: Meine Schule hat einen sehr guten Ruf, außer mit der Technik. Ich bin sehr glücklich mit meiner Schule. Als Abschlussarbeit für die Schule habe ich einen Film gemacht. Ich wollte mein Leben zeigen. Mein Film heißt: „Mein Weg der Inklusion.“ Ich will auch anderen Menschen helfen, dass sie gut integriert sind. Ich will Mut machen.

Claras Mutti: Das ist die große Montessori-Arbeit, wie ein Zertifikat. Jeder, der an Claras Schule ist, muss das machen. Jeder musste ein Thema wählen und begründen, warum das Thema genommen wurde. Eine große schriftliche Arbeit gehört auch dazu. Der Film ist ja eigentlich nur das Produkt. Clara musste eine Präsentation vor einer großen Jury machen. Da hat sie anhand einer PowerPoint erzählen müssen, wie das Produkt entstanden ist, was sie gemacht hat. Andere haben zum Beispiel einen Schrank gebaut. Bei der Arbeit ging es auch darum, dass Clara präsentiert und verteidigt, warum sie das gemacht hat und wie sie das gemacht hat.

Clara hat bei „Warum habe ich das Thema gewählt?“ geschrieben: „Ich möchte gerne meinen Lebensweg bis jetzt aufzeigen, um Mut zu machen, was möglich ist, wenn man zusammenhält. Gleichzeitig mich bei allen bedanken, die mir geholfen haben, Clara-Sophie zu sein mit allen Ecken und Kanten.“

Clara: Ich wünsche mir, dass noch mehr für Inklusions- und Sozialrecht gemacht wird.

Clara: Ich wünsche mir, dass noch mehr für Inklusions- und Sozialrecht gemacht wird. Ich kenne ganz viele Länder, die auch so etwas brauchen. Also Kinder in anderen Ländern. Wo Inklusion noch nicht so ist wie bei uns. In meiner Schule funktioniert es gut. Wir haben auch ukrainische Kinder, und da muss man auch ganz viel helfen. Wir helfen alle.

Claras Mutti: Wir haben das Privileg, dass wir auf unserem Weg immer auf Menschen getroffen sind, die mit ganz viel Herz und ganz viel Engagement Inklusion fördern und vorantreiben. Ich kenne aber auch viele andere Eltern und Betroffene, die wirklich dieses Glück nicht hatten und wo man sieht, dass es an allen Ecken und Enden noch etwas zu tun gibt. Und ich muss auch ehrlich sagen, auch wenn es ihr in der Schule gut gefällt, es ist oft eine Katastrophe. Alles was Clara kann, haben die Schul-Assistenz und ich ihr beigebracht. Was von der Schule beigesteuert wird, sind die Unterlagen, aber dann hört es auch schon auf. Es nimmt sich einfach keiner Zeit, nur ganz wenig Lehrer versuchen Inklusion wirklich zu leben.

Die Clara hat zwar den Förderschwerpunkt „Lernen“, muss aber genau dasselbe Material nehmen und dieselben Arbeiten schreiben wie alle anderen Kinder auch. Nicht einmal die Arbeiten werden für Clara heruntergebrochen. Das bringt uns alle wieder insgesamt in einen sehr großen Leistungsdruck. Das Lehrer-Problem, was alle Schulen haben, hat natürlich auch eine freie Schule. Meine persönliche, ganz ehrliche Meinung ist: Inklusion klappt in der Schule immer weniger. Wir waren schon einmal auf einem besseren Weg. Es fehlt einfach an Personal. Darum sage ich, wir waren immer sehr privilegiert. Wir sind immer auf Assistenzen gestoßen, die so getickt haben wie die Mutti, also wie ich, und das ist auch ganz, ganz wichtig. Sie haben wirklich versucht, sich in Clara hineinzudenken und passendes Material gebastelt.

Das Problem sind nicht die Kinder. Clara fühlt sich in der Schule wohl, weil die Kinder ganz natürlich sind. Das war nicht einfach nur für den Film in ihrer Montessoriarbeit gespielt, sondern ist wirklich gelebt worden. Das Montessori System lässt es zu, dass Kinder auch mal einen ganzen Tag fast nichts machen. Aber irgendwann holt es die Kinder ein, und dann haben sie immer gesagt: „Oh, die Clara, die war fleißig.“ Weil natürlich die Assistenz von Clara immer wieder darauf geachtet hat, dass Clara kontinuierlich weiterarbeitet. Dann war Clara immer eine der Ersten, die die Arbeiten geschrieben hat, und dann konnten wir gut mit den anderen Kindern mithalten und ihnen sogar helfen. Das ist sicherlich ein zweischneidiges Schwert. Ich habe es aber so gesehen, dass sie sich damit auch wirklich die Akzeptanz der Kinder von Anfang an erarbeitet hat. Sie sitzt genau mit demselben Material da. Die Mitschüler haben wirklich gesehen, dass Clara nicht privilegiert wird und sich auch alles hart erarbeiten muss. Das hat sich über die Jahre wirklich ausgezahlt. Wie es für Clara weitergeht, ist schwierig zu sagen. Warum ist es schwierig? Clara hat es hinbekommen, dass sie für den allgemeinen Arbeitsmarkt zur Verfügung steht, so ein Gutachten vom Arbeitsamt. Sie müsste sich also auf dem ersten Arbeitsmarkt etwas suchen, was sicher schwer wird. Man müsste ihr Mindestlohn zahlen, das will beziehungsweise kann keiner bezahlen, weil Clara die Leistungsfähigkeit natürlich nicht so hat. Und da verstehe ich die Arbeitgeber schon. Da ist eigentlich die Politik gefordert. Vielleicht spielt ja die Zeit ein bisschen für uns. Man sucht überall Leute, gerade im Pflege-Bereich.

Clara: Ich könnte mir vorstellen, im Kindergarten zu arbeiten, dort war ich schon öfter zum Praktikum. Oder mit älteren Menschen zu arbeiten. Das habe ich auch schon gemacht und es war sehr schön. Ich habe sie massiert oder vorgelesen. Clara‘s Mutti: Vorgelesen aus der Zeitung oder wenn sie einen Brief gekriegt haben. Oder Clara hat sich einfach nur mal neben sie gesetzt, die Hand gehalten und zugehört. Clara: Physiotherapeutin wäre auch was für mich.

Claras Mutti: Clara, was wäre denn dein Wunsch, wenn du kein Down-Syndrom hättest und könntest alles studieren, was du wölltest? Was hättest du dann studiert, was wärest du dann geworden?

Clara: Viele Sachen.

Claras Mutti: Ich meine wo würdest du gern arbeiten wollen?

Clara: Im Krankenhaus.

Claras Mutti: Du wärst gern Ärztin geworden. Wir finden etwas für dich, Clara. Du hast so eine große soziale Kompetenz. Im Pflegebereich sucht man so viele Leute.

Clara: Ich möchte das berufsvorbereitende Jahr schaffen. Dann will ich, wenn ich die Erlaubnis von meinen Eltern kriege, mal nach Japan oder nach Amerika reisen. Ich will mit anderen Menschen etwas machen.

Clara‘s Mutti: Trotz sämtlicher gesundheitlicher Dinge, entwickelst du dich so toll, dass dir das bestimmt auch gelingen wird, Clara.

Interview geführt am: 28.03.2023

Interview veröffentlicht am: 07.09.2023

Portraitfoto von Clara
Bild von Clara, die rechts neben einem Fensehbildschirm steht. Auf dem Fernseher ist ein Standbild von ihrer Abschlussarbeit an der Montessori Schule zu sehen. Der Titel der Arbeit lautet "Mein Weg der Inklusion"