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Maria, Dresden

Vor allem unsichtbare Behinderungen und besonders auch psychische Erkrankungen werden leider nicht so toleriert oder akzeptiert, beispielsweise auch an Universitäten und Schulen.

Gesichter der Inklusion

Ich bin Maria und studiere Mechatronik. Theoretisch wäre ich im 4. Semester, praktisch bin ich im 2. Fachsemester. In meinem Studiengang gibt es sehr wenige Frauen, und noch weniger Frauen oder andere Menschen mit Behinderung.

Ich sitze erst seit zwei Monaten im Rollstuhl und das aufgrund einer dissoziativen Bewegungsstörung, auch funktionelle neurologische Störung genannt. Diese Thematik ist noch nicht so gut erforscht. Ich habe auch noch andere Vorerkrankungen wie Autismus, Tourette und psychische Erkrankungen. Jetzt mit dem Rollstuhl habe ich noch einmal eine andere Sichtweise auf die Dinge, weil ich noch mehr Barrieren sehe und mitkriege.

Ich muss sagen, die TU-Dresden ist jetzt nicht sonderlich barrierefrei.

Ich muss sagen, die TU-Dresden ist jetzt nicht sonderlich barrierefrei. Die Haltestellen sind nicht alle barrierefrei. Der Berg an dem der Campus liegt, hat eindeutig eine Steigung von mehr als 6 %, was normalerweise die Norm für Rampen ist. Das heißt, da kommt man nicht wirklich selber hoch. Viele Gebäude sind nicht gut ausgeschildert. Das ist besonders für Menschen im Rollstuhl schlecht, denn es gibt meistens nur einen Fahrstuhl, oder zu wenige. Und dann hat man keine Ahnung, wo man hin muss. Für blinde Menschen ist es, glaube ich, noch schwieriger. Es gibt Gebäude, die gar nicht barrierefrei zugänglich sind. Also gefühlt habe ich einfach Pech gehabt, wenn ich nicht hinkomme, da bei der Raumvergabe prinzipiell alle Räume und Gebäude vergeben werden.

Ich habe gerade auch eine Stelle als studentische Hilfskraft. Dafür musste ich eigentlich in den Kutzbach-Bau. Aber der Kutzbach-Bau ist auch nicht barrierefrei. Deshalb müssen wir halt immer auf ein anderes Gebäude ausweichen. Viele Übungen sind im Vorlesungssaal. Da ist es so, dass die barrierefreien Plätze, vor allem im Schönfeld-Hörsaal, ganz weit hinten sind - in der allerletzten Reihe, oder noch weiter hinten. Man sieht einfach gar nicht, was vorne an der Tafel steht. Da hast du gar keine Chance. Man hat sozusagen "einfach Pech gehabt". Da wird auch nicht großartig viel gemacht. Das ist echt nervig. Meistens lasse ich gerade diese Übungen oder Vorlesungen sein, und bearbeite das für mich zu Hause. Bei einer Übung bearbeite ich die Hausaufgaben und lerne den Rest dann immer selber. Das habe ich mit dem Übungsleiter abgeklärt. Insgesamt ist das schon ziemlich nervig.

Es gibt verschiedene Übungsleiter, manche sind offen dafür, mir zuzuschicken, was behandelt wurde. Aber viele haben dann auch das Problem, dass sie nicht genau wissen, was sie tun sollen. Ich bin aber momentan in einer Phase, wo ich genug anderen Stress habe, als dass ich noch mit irgendwelchen Übungsleitern Stress beginne.

Ich habe eben gerade das Problem, dass Ärzte mir keine Physiotherapie verschreiben wollen, weil sie der Meinung sind: Es ist ja nur "psychisch".

Dass ich jetzt im Rollstuhl sitze, das hat sich schleichend entwickelt. Ich bin erst zum Arzt gegangen, als es nicht mehr ging. Bei den Ärzten wird "dissoziativ" häufig mit "psychisch" gleichgesetzt. Das ist schwierig, weil es bei mir auch mit den anderen Vorerkrankungen zusammenhängen kann. Dadurch hat man oft Probleme, anerkannt zu werden. Es gibt auch nicht wirklich eine gute Therapie. Das ist etwas, was mich sehr nervt. Ich habe eben gerade das Problem, dass Ärzte mir keine Physiotherapie verschreiben wollen, weil sie der Meinung sind: Es ist ja nur "psychisch". Ich habe Psychotherapie, aber selbst, wenn sich die angebliche psychische Blockade lösen würde, würde sie sich nicht innerhalb einer Woche lösen. Man muss auch etwas für den Körper machen. Und bei 60-80 % der Patienten verbessert es sich gar nicht. Auch weil die Therapien so schlecht sind und das "Anerkannt werden" in der Gesellschaft so schwierig ist. Aber das ist ja allgemein bei psychischen Erkrankungen so.

Vor meiner Erkrankung habe ich sehr viel Sport gemacht, Fußball gespielt, sogar einen Triathlon gemacht. An zu wenig sportlicher Betätigung kann es also nicht gelegen haben, dass ich jetzt im Rollstuhl sitze. Ich hatte mich mit dem Thema Rollstuhl schon vorher auseinandergesetzt. Ich hatte sogar schon mal ein Rezept eingereicht. Aber die Krankenkassen lehnen meistens erstmal ab, es sei denn man ist wirklich querschnittsgelähmt. Der Rollstuhl, in dem ich gerade sitze, ist zum Beispiel auch nur geliehen. Ich hatte vor Kurzem wieder ein Rezept eingereicht. Das wurde anfangs auch wieder abgelehnt. Mir wurde dann nur ein Pflegerollstuhl, wie man ihn im Krankenhaus benutzt, gestattet. Damit kann man aber nicht richtig fahren. Ein richtiger Rollstuhl für den Alltag kostet zwischen 5.000 - 10.000 Euro. Vor allem, wenn man einen haben will, der hält und auf die Person angepasst ist. Die Krankenkasse wollte nur 3.500 Euro zahlen, für vier Jahre. Da haben wir erst einmal Widerspruch eingereicht. Jetzt haben sie mir mehr bewilligt, aber nicht alles. Den Rest zahle ich selber, das sind ungefähr 1.700 Euro.

Man muss sagen, wenn man eine Behinderung hat, hat man eigentlich einen 40-Stunden Job - einfach, weil man nur mit Ämtern, Ärzten und Therapien beschäftigt ist.

Man muss sagen, wenn man eine Behinderung hat, hat man eigentlich einen 40-Stunden Job - einfach, weil man nur mit Ämtern, Ärzten und Therapien beschäftigt ist. Man rennt immer allem hinterher, das ist echt krass. Ganz viele Leute vergessen einfach, was das für ein Aufwand ist, nur damit man die Hilfe bekommt, die man eigentlich braucht. Auch was den Schwerbehindertenausweis angeht, wie lange das teilweise dauert. Man muss ihn beispielsweise alle fünf Jahre neu beantragen. Den Pflegegrad habe ich seit eineinhalb Jahren und ich wurde schon zweimal begutachtet. Dann werde ich in eineinhalb Jahren wieder begutachtet. Es wird gesagt, weil man jung ist, wollen sie das nicht unbefristet machen. Wahrscheinlich damit sie schnell Geld sparen können. Und für mich ist das schon echt zeitaufwendig.

Ich habe einen Freund, der mich emotional unterstützt. Aber ich bin schon die, die den Bürokram macht. Fachliche Unterstützung von anderen wäre auch wieder Aufwand und meistens können die auch nicht so viel machen. Am Ende rennt man trotzdem selbst allem hinterher. Meistens braucht man auch noch einen Anwalt, damit man überhaupt was erreicht. Ich habe jetzt bestimmt schon zwei- oder dreimal einen Anwalt gebraucht, damit ich das bekomme, was ich auch wirklich benötige und was auch begründet ist. Es gibt den Verband der Kriegsgeschädigten (VDK), der allgemein das Sozialrecht für alle macht. Da zahlt man, glaube ich, 30 Euro und dann vertreten die einen. Wenn man aber irgendwie Geld zurückbekommen würde, bekommt man es nicht, sondern die.

Mein Verlobter und ich haben gerade das Problem, das wir nicht in einer barrierefreien Wohnung leben. Wir müssen deswegen jetzt wieder ins Studentenwohnheim ziehen, genauer gesagt in zwei Einzel-Appartments. Es ist echt blöd, dass man keine barrierefreien Wohnungen in Dresden findet, die für Studenten bezahlbar sind. Barrierefrei sind meistens Neubauten, und die sind sehr teuer. Ich bekomme BAföG, aber eben kein Wohngeld, weil das an sich im BAföG schon drin ist. Aber mit diesen 300-400 Euro kann man sich keine barrierefreie Wohnung leisten. Einen BAföG-Zuschlag gibt es auch nicht.

Im Wohnheim gibt es ein paar barrierefreie Wohnungen. Aber wir haben leider eine Frist verpasst und müssen jetzt noch bis Oktober warten, weil die barrierefreien Wohnungen in der Zwischenzeit an 'normale' Studenten vermietet wurden. Die Studenten können sie ja dann auch nicht sofort rausschmeißen. An der Uni gibt es eine Stelle, die heißt: „Beauftragte für Menschen mit chronischen Erkrankungen und Behinderungen an der TU Dresden“. An die kann man sich wenden und beraten lassen. Wir haben die Stelle in Anspruch genommen, gerade was einen Nachteilsausgleich angeht. Dort kann man auch Assistenzstellen beantragen. Aber für Barrierefreiheit können sie eben nicht so viel machen, vor allem, was Rollstuhlgerechtes angeht. Die sagen meistens, dass das durch ihnen übergeordnete Stellen geregelt werden muss, zum Beispiel was bauliche Maßnahmen betrifft.

Zu meinen Kommilitonen habe ich nicht so viel Kontakt. Ich habe ja noch die Autismus-Diagnose und kann dadurch nicht so viele Module machen. Ich bin gerade bei drei Modulen. Also drei oder vier sind meistens schon die Grenze, weil ich es sonst vom Stresslevel her nicht hinbekomme. Andererseits brauche ich jetzt, seit ich im Rollstuhl sitze, auch oft Pausen, wo ich mich hinlegen muss. 18 Stunden oder mehr Sitzen ist nicht gut für den Körper. Ich musste ein Studienjahr wiederholen, weil ich die Prüfungsphase verpasst habe. Da war ich im Krankenhaus.

Bei uns im Studiengang gibt es Seminargruppen. In meiner Seminargruppe sind wir nur zwei Frauen. Meine Mitstudentin ist auch sehr introvertiert. An sich habe ich guten Kontakt mit ihr, aber sie geht auch nicht so oft in die Uni. Und mehr Kontakt habe ich da eigentlich auch nicht. Die Männer sind eher so in ihren Männergruppen.

Das Studium macht trotzdem mehr oder weniger Spaß. Das Studium an sich ist ja auch eine Herausforderung. Ich wollte eigentlich früher immer Medizin studieren, jetzt studiere ich Technik. Aber ich finde Technik auch interessant. Es ist schon sehr anspruchsvoll, vor allem, wenn man nicht die Möglichkeit hat, an allem teilzunehmen. Und da ich auch nur die Hälfte der Module pro Semester machen kann, hat man noch den Stress, was die Studiendauer angeht. Ich studiere noch mindestens vier bis fünf Jahre oder sogar noch länger.

Dann hat man noch das Problem mit den Praktika, die man eigentlich machen muss. Bisher hatten wir nur ein Praktikum direkt im Studium. Das war nur ein Fach und dann sowieso mit viel sitzen, also ging das. Aber wir müssen ein Grundpraktikum machen, wo wir schweißen, bohren, sägen und sonst was machen. Da findet man nicht wirklich ein Unternehmen, was einen einstellen will, wenn man im Rollstuhl sitzt - und dann noch als Frau. Später hat man auch das Problem mit den Unternehmen, weil die meisten nicht barrierefrei sind, vor allem bei technischen Dingen. Als Beruf fände ich technischer Zeichner sehr interessant oder den Bereich der Forschung, vor allem Biomedizintechnik.

Jetzt, wo die Krankheit sichtbar ist, behandeln einen die Menschen nochmal ganz anders. Oft sind Menschen noch respektloser, habe ich das Gefühl.

An sich habe ich kein Problem damit zu sagen, ich gehe raus oder bin unterwegs oder so. Ich bin ein Mensch, der denkt: Eigentlich ist alles machbar. Eine Feuerwehrfrau im Rollstuhl - warum sollte das nicht gehen? Ich bewege mich halt einfach rollend fort. Für andere sind es zwei unterschiedliche Welten. Ich glaube, andere sehen einfach mehr die Hindernisse und ich mehr die Möglichkeiten.

Vorher hat man mir die Krankheit nicht angesehen. Da trifft man auf andere Hindernisse, weil es dann eher unsichtbar ist. Jetzt, wo die Krankheit sichtbar ist, behandeln einen die Menschen nochmal ganz anders. Oft sind Menschen noch respektloser, habe ich das Gefühl. Die denken manchmal, nur weil man eine körperliche Behinderung hat, ist man geistig ebenso eingeschränkt. Entweder sie reden gar nicht mit einem oder bevormunden einen. Ich weiß nicht wieso, aber bei Rollstuhlfahrern nehmen sich die Leute immer raus, dass sie einen irgendwo hinschieben können. Ich habe auch schon von blinden Menschen gehört, dass sie einfach irgendwo hingeführt werden und das auch ohne gefragt zu werden. Da bekomme ich manchmal echt die Krise. Ich schubse ja auch nicht einfach einen alten Opa in einen Bus, weil er mir zu langsam ist. Da wäre jeder schockiert, aber bei einem Rollstuhlfahrer ist das irgendwie „voll okay“.

Viele sind auch irgendwie der Meinung, wenn sie tuscheln, höre ich das nicht. Aber ich denke mir dann: Ich verstehe schon, was ihr da sagt. Oder wenn ich mit meinem Freund unterwegs bin, wird auch ganz oft nur mit ihm gesprochen und nicht mit mir. Das ist schon teilweise echt krass.

Mein Freund findet es gut, dass ich jetzt Rollstuhl fahre, weil ich dadurch mehr mit ihm machen kann. Ich bin nicht mehr so eingeschränkt wie vorher, als ich versucht habe zu laufen, obwohl es nicht mehr so gut ging. Andererseits findet er es auch krass, wie unterschiedlich man behandelt wird, oder welche Unterschiede es allgemein gibt. Vor allem wenn man irgendwo hin will, dass man immer darauf achten muss, wo man hingeht und ob es barrierefrei ist. Oder ist da ein Berg, ist da kein Berg? Da muss man immer komplett anders planen.

Ich bin auch im Projekt der sächsischen Jugendstiftung aktiv. Da geht es darum, dass man sich gegen Mobbing, Vorurteile und Diskriminierungen einsetzt. Da habe ich mit Schülern zum Beispiel oft sehr positive Erfahrungen gemacht. Am Anfang sind sie, wie viele Menschen, einfach sehr zurückhaltend, oder haben Vorurteile. Aber durch meinen Humor tauen sie auf und dann finden sie das richtig gut, und beschweren sich auch über andere Menschen.

Man hat durch den Rollstuhl auch eine andere Weltansicht. Wenn ich mit anderen Menschen kommuniziere, mag ich es, diese andere Weltsicht zu zeigen. Und dann bekomme ich oft das Feedback, dass sie daran noch nie gedacht haben. Dann erweitere ich sozusagen von manchen Menschen den Horizont und das finde ich schon ganz cool.

Für mich ist der Rollstuhl jetzt wieder eine Art Freiheit, weil ich wieder überall hin kann. Und auch wenn ich oft auf Hindernisse treffe, komme ich trotzdem fast überall hin. Das finde ich gut. Auch viele Sportarten kann ich noch machen. Mit Fußball spielen wird es leider schwierig, aber so etwas wie Schwimmen oder Skaten geht auch. Das finden auch die Leute im Skatepark immer witzig. Ich fahre einfach die Rampe runter. Da bin ich aber noch am Anfang und ein bisschen vorsichtig, weil es ja nicht mein Rollstuhl ist. An sich kommt man damit auch gut klar. Man muss nur die anderen Menschen davon überzeugen, dass es alles klappt.

Zurzeit ist mein Plan, erstmal das Studium überhaupt irgendwann zu beenden. Andererseits möchte ich im Studium auch Kinder bekommen. Und da bin ich mit meinem Freund auch schon in der Planung. Meine Mutter war selbst sehr jung, also 20 oder 21, als sie mich bekommen hat. Von daher bin ich auch sehr offen, und ich finde es auch mega cool, dass sie so jung war. Andererseits ist es im Studium auch total passend, weil man eben sehr flexibel ist, und weil man auch nebenbei arbeiten kann. Man ist nicht so an diese 40 Stunden Woche gebunden, und man hat auch allgemein nicht so viel Stress mit der Arbeit in dieser Zeit.

Für meine Zukunft habe ich schon ein paar Ideen. Ich mache auch mein Projekt weiter, und möchte wieder gesund werden, was die psychische Gesundheit betrifft. Was ich oft merke ist, dass viele Menschen von mir wollen, dass ich wieder laufen lerne. Aber gerade hilft nicht mal der Sport. Ich habe die letzten zwei bis drei Jahre immer versucht weiterzumachen, aber das hat mich echt psychisch fertig gemacht. Dann war ich im Krankenhaus, weil ich am Ende war. Und da habe ich für mich den Entschluss gefasst, dass ich das jetzt für mich akzeptiere und mein Leben so führen möchte. Wenn es besser wird, wird es besser. Aber wenn nicht, dann ist es halt so. Also ich finde es an sich nicht so schlimm.

Freude und Lebensglück sind wichtiger als laufen zu können. Was bringt es mir, einen Job zu haben, der mir vielleicht viel Geld bringt, aber der mich nicht glücklich macht. Vor allem, weil ich weiß, wie es ist, Depressionen zu haben. Psychische Gesundheit oder auch Gesundheit an sich ist so viel wichtiger als irgendwelche gesellschaftlichen Normen oder Ideale, die man anscheinend haben sollte. Aber ich denke, es gibt so viele Menschen, die diesem Ideal halbwegs entsprechen, aber total unglücklich sind. Und wenn die Leute mich nicht mögen, oder es sie stört, dass ich im Rollstuhl sitze, dann können sie gerne gehen. Und die, die es nicht stört und die kein Problem mit mir haben, die können gerne bleiben.

Da bin ich lieber glücklich und schräg, als unglücklich und halbwegs normal. Es wäre ja auch echt blöd, wenn alle Menschen gleich wären. Und ich stelle mir die Frage: Wer definiert denn die Norm? Oder die Schönheitsideale, die waren ja auch vor 200 Jahren total anders. Da waren zum Beispiel Menschen, die etwas dicker waren, richtig beliebt. Oder in anderen Kulturen ist es sogar ein Nachteil, wenn man sehr, sehr schlank ist. Irgendjemand hat mal gesagt: „Das ist schön.“ - und plötzlich richten sich alle danach aus. Das ist echt krass.

Da gibt es einfach Störungen oder Probleme, die nichts mit „wollen“ oder „nicht wollen“ zu tun haben.

Vor allem unsichtbare Behinderungen und besonders auch psychische Erkrankungen werden leider nicht so toleriert oder akzeptiert, beispielsweise auch an Universitäten und Schulen. Vor allem bei Nachteilsausgleichen ist es oft so, dass es als nicht wichtig wahrgenommen wird oder gesagt wird: „Naja, dann musst du dich einfach zusammenreißen“. Oder die Menschen werden gemieden oder als dumm oder faul dargestellt, obwohl man ja weiß, dass es auch eine körperliche Erkrankung ist, weil das Gehirn auch zum Körper gehört. Da gibt es einfach Störungen oder Probleme, die nichts mit „wollen“ oder „nicht wollen“ zu tun haben.

Diese Ausgrenzung ist allgemein etwas, was Menschen mit Behinderungen, egal ob geistig, psychisch oder körperlich, erleben. Die werden meistens in die Behinderungswerkstätten gesteckt, oder auf Förderschulen oder Sonderschulen abgeschoben. Und diese Menschen sieht man dann in der Gesellschaft nicht, weil sie immer weggeschoben werden von irgendwelchen Ämtern oder Instituten. Dadurch ist es auch total schwer, in Kontakt mit denen zu kommen. Früher als Kind wollte man mich auch einfach auf eine Sonderschule schieben und jetzt habe ich Abitur und studiere. Wäre ich auf eine Sonderschule gekommen, hätte ich das niemals machen können. Das ist echt krass, wie man einfach bevormundet oder als dumm abgestempelt wird. Dann sieht man in dem Rahmen auch keine ‚normalen‘ Menschen und die sehen einen auch nicht. Und dadurch spaltet man die Gesellschaft in ‚normal‘ und ,nicht normal‘.

Damals im Nationalsozialismus wurden behinderte Menschen systematisch ausgeschlossen oder sogar getötet. Auch wenn wir das in der Form nicht mehr haben, tun viele Menschen das unterbewusst trotzdem noch, also das Wegschauen, sie ignorieren oder schließen aus. Das will sich auch keiner so richtig eingestehen, oder sich richtig bewusst machen. Ich denke, oft ist das Problem, dass Kinder das nicht richtig lernen. Im Kinderalter lernt man einfach das meiste. Sogar viele Kindergärten sind nicht barrierefrei. Oder sobald man im Kindergarten irgendwelche Verhaltensauffälligkeiten zeigt, werden die ja auch direkt wieder sondiert oder irgendwo hingeschickt. Da beginnt schon im Kindergartenalter diese Aussortierung. Und dadurch können die Kinder gar nicht lernen damit umzugehen.

Jeder Mensch ist anders, und ich verstehe nicht, wieso wir alle perfekt sein sollten. Die Wörter „perfekt“ oder „normal“ gibt es einfach nicht, denn wer definiert sie?

Interview geführt am: 19.05.2022

Interview veröffentlicht am: 25.10.2022

Maria aus Dresden