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Matthias, Chemnitz

Ich würde mir manchmal mehr gesellschaftliche Anerkennung wünschen. Es heißt immer, wir würden ja nur Auto fahren. Natürlich fahren wir Auto, aber wir haben eben auch behinderte Menschen als Fahrgäste.

Gesichter der Inklusion

Mein Name ist Matthias. Ich arbeite seit 2007 im CoWerk, und seit 01.01.2018 bin ich Fahrdienstleiter. Wir fahren viele schwerbehinderte Menschen, behinderte Menschen im Rollstuhl, Läufer, Schüler – also alle, die selbst nicht mehr so richtig mit Bus oder Bahn fahren können. Wir betreuen unsere Fahrgäste natürlich auch teilweise. Ich bin auch noch als Trainer im Blinden-Fußball tätig. Vorher habe ich lange Zeit eine Fremdfirma betreut, Auftrags-, Akquise-Management und Rechnungslegung erledigt. Als diese Tätigkeit Ende 2017 ausgelaufen ist, wurde ich Fahrdienstleiter. Ich bin 58 Jahre alt und habe eine Schwerbehinderung. Ich habe seit über 30 Jahren Rheuma und weiß was Schmerzen bedeuten, bin über ein Basismedikament aber ganz gut eingestellt. Das hat bis jetzt funktioniert. Wir werden sehen, was die Zukunft bringt.

Über den Blinden-Fußball kam ich dann auch zur Betreuung von Menschen mit Behinderung. Wir sind mit den Fußballspielern ja auch viel in ganz Deutschland unterwegs. Wir haben jede Woche Training. Das hat mir recht viel Spaß gemacht. Früher habe ich auch noch selbst als Torwart mitgespielt, dann nur noch als Trainer. Das Ganze ist über Jahre hinweg gewachsen. Denn es ist sehr schwierig, Leute zu finden, die den schweren Sport Blinden-Fußball betreiben. Der Ball ist ein Akustik-Ball und hat im Inneren Glocken. Die Spieler werden über sogenannte Guides von außen angeleitet bzw. gerufen. Obwohl ich wenig Zeit habe, bin ich im Blinden-Fußball noch immer aktiv.

Im Gespräch mit einem „regulären“ Taxifahrer habe ich herausgefunden, wieso wir keine Fahrer finden. Das liegt wirklich an der Scheu vor unseren Fahrgästen mit Behinderung.

Aber man kommt schon an seine Grenzen, weil man ja auch auf der Arbeit viel zu tun hat. Unser Problem ist, dass wir trotz guten Arbeitsbedingungen ständig Fahrer suchen. Im Gespräch mit einem „regulären“ Taxifahrer habe ich herausgefunden, wieso wir keine Fahrer finden. Das liegt wirklich an der Scheu vor unseren Fahrgästen mit Behinderung. Natürlich müssen die Fahrer auch mit den behinderten Fahrgästen kommunizieren. Damit haben meine Fahrer und ich nie ein Problem gehabt, aber viele Menschen können damit nicht umgehen und wollen deshalb den Job nicht machen. Zum Glück hatte auch noch niemand während der Fahrt einen Anfall, obwohl das Risiko ja immer da ist. Bei manchen Fahrten fährt eine Begleitperson mit. Für die Rollstuhlfahrer haben wir auch Fahrzeuge mit einer Rampe, die man ausklappt, um den Rollstuhl ins Fahrzeug hochzuschieben und zu befestigen. Und wir haben nun auch Fahrzeuge mit einer elektrischen Rampe. Die fährt man herunter, der Mensch im Rollstuhl fährt drauf, und dann wird sie elektrisch wieder hochgefahren.

Unsere Dienste werden von vielen Interessenten angefordert, beispielsweise vom KSV (Kommunaler Sächsischer Verband), der Stadt Chemnitz, dem Sozialamt Chemnitz, der Arbeitsagentur und natürlich auch von Privatpersonen. Wir bieten auch Sonderfahrten an, fahren z. B. ältere Leute mit Transportschein zum Arzt oder in ein Krankenhaus. Dann gibt es natürlich auch Privatfahrten, die für Rollstuhlfahrer schon etwas mehr kosten. Über die Krankenkassen werden vorgegebene Preise abgerechnet. Aber privat geht es nach Kilometern, und es kommen noch Lohnkosten, das Fahrzeug selbst usw. drauf. Im Vergleich zu anderen Fahrdiensten sind wir leider schon recht teuer. Aber bei Preisen am unteren Limit könnten wir einfach nicht bestehen. Denn ich muss dem Fahrer Mindestlohn zahlen, Wartezeiten werden bezahlt. Deswegen sind wir eher im höheren Preissegment angesiedelt.

Unsere Fahrer werden beim Jobantritt geschult. Man braucht einen Personenbeförderungsschein, um überhaupt Personen befördern zu dürfen. Aber wir haben natürlich auch Stückgutfahrten. Unser Fahrdienst ist ein bisschen besonders und recht abwechslungsreich. Manchmal ist die Arbeit mit viel Stress verbunden, wenn die Fahrgäste nicht Bescheid sagen, dass sie mal nicht abgeholt werden wollen. Dann fahren wir umsonst hin. Das ist anstrengend und macht manchmal keinen Spaß mehr. Aber wir leben damit. Andererseits sind auch froh, dass wir Menschen betreuen können, die alleine nicht zurecht kämen. Der Vorteil bei uns ist natürlich, dass die Werkstatt, das Wohnheim für Schwerbehinderte und andere Akteure im Co-Werk zusammen arbeiten.

Wir arbeiten auch ziemlich eng mit der Körperbehinderten-Schule zusammen. In verschiedenen Schulen haben wir die Schulversorgung übernommen. Aber wir bekommen nicht automatisch alle Aufträge aus sozialen Bereichen. Auch wir beteiligen uns an den Ausschreibungen, und müssen uns am Markt behaupten, trotz unserer menschlichen Komponente und unserem Verständnis. Bei den öffentlichen Ausschreibungen wird das Billigste Angebot ausgewählt. Die Verantwortung wird dem Dienstleister zugeschoben. Bisweilen gibt es Jahresausschreibungen. Wenn man ein Jahr lang eine Fahrt fest einplanen kann, muss man auch einen Fahrer und ein Auto finanzieren. Aber da ist das ja noch nicht finanziert. Besser sind dann 2 oder 3 Jahre, weil man länger planen kann.

Die Arbeit als Fahrdienstleister ist anspruchsvoll und abwechslungsreich. Ich hatte mir den Beruf auch nicht so stressig vorgestellt. Man kommt sehr oft an sein Limit.

Die Arbeit als Fahrdienstleister ist anspruchsvoll und abwechslungsreich. Ich hatte mir den Beruf auch nicht so stressig vorgestellt. Man kommt sehr oft an sein Limit. Das passiert zwar auch jetzt hin und wieder mal, wenn die Arbeitszeit kein Ende zu nehmen scheint. Aber so wäre es überall. Firmenmäßig läuft es bei uns perfekt. Geld ist ein anderer wichtiger Faktor. Es zählt für mich natürlich schon, aber lieber habe ich weniger Geld und dafür mehr Hilfen am Arbeitsplatz, oder kann mehr Dinge abgeben. Ich habe zum Beispiel einen verstellbaren Schreibtisch, an dem ich auch stehen kann. Gerade weil ich beim Fahren viel sitze, ist mir der verstellbare Schreibtisch sehr wichtig.

Wir haben auch Fahrer mit Einschränkungen, die nicht mehr schwer heben können, und auch länger für bestimmte Dinge brauchen. Wir brauchen diese Fahrer natürlich um unsere Aufgaben zur vollsten Zufriedenheit unserer Kunden auszuführen. Aber andererseits können wir die körperlich schwere Arbeit nicht ohne Ende an die Fahrer ohne Einschränkungen abgeben. Sonst ist es nur eine Frage der Zeit, bis auch die Fahrer sich Einschränkungen zuziehen. Es ist deswegen wichtig für uns, die Leute ohne Behinderung auch mal rauszunehmen und ihnen eine kurze Ruhepause zu gönnen.

Ich würde mir manchmal mehr gesellschaftliche Anerkennung wünschen.

Ich würde mir manchmal mehr gesellschaftliche Anerkennung wünschen. Es heißt immer, wir würden ja nur Auto fahren. Natürlich fahren wir Auto, aber wir haben eben auch behinderte Menschen als Fahrgäste. Anerkennung erfahre ich in der Firma, gar keine Frage. Auch die Preisgestaltung ist für uns problematisch. Wenn man keine Ausschreibung gewinnt, bekommt man keinen Auftrag, aber die Fahrer müssen trotzdem mit Arbeit versorgt werden. Man ist also trotzdem in der Verantwortung, unseren Mitarbeitern Arbeit zu liefern. Aber das ist ein strukturelles Problem, dass die Einzelnen wahrscheinlich nicht regeln können. Wir Fahrdienste sprechen das Problem immer mal wieder an, sowohl bei Ausschreibungen in verschiedenen Bereichen der Vergabestellen. Und die Institutionen wissen auch ganz genau um das Problem, aber sie haben eben auch keine andere Möglichkeit. Auch wenn sie das Vorgehen gern ändern würden, können sie es nicht.

Link zu CoWerk Chemnitz: https://www.cowerk.de/

Interview geführt am: 14.03.2019

Interview veröffentlicht am: 01.10.2019