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Simone Walter, Dresden

Ich habe mich entschieden Coach zu werden, um Menschen in ein selbstbestimmtes, positives Leben zu coachen.

Gesichter der Inklusion

Mein Name ist Simone Walter, ich bin 1965 geboren. Seit Geburt habe ich eine Infantile Zerebralparese. Das bedeutet, dass sich in meinem Gehirn die Synapsen nicht so zusammenfinden wie man es gewohnt ist. Deshalb werden die Muskeln steif, der Arm bzw. das Bein zieht sich zusammen und wird sehr spastisch. Das beschränkt sich nicht nur auf meine vier Gliedmaßen, sondern betrifft meinen ganzen Körper, z. B. auch meine Stimme.

"Seit Dezember 2016 bin ich freiberufliche Autorin."

Aber damit habe ich kein Problem, da mich die Menschen eigentlich verstehen. In den letzten Jahren hat sich die Sprache auch ein bisschen verbessert. Seit Dezember 2016 bin ich freiberufliche Autorin. Ich habe drei Kinderbücher geschrieben. Die drei Bände bauen aufeinander auf. Leider wurden sie nicht verlegt, so dass ich sie im Eigenverlag rausbringen musste. Was zur Folge hatte, dass ich kaum Werbung schalten konnte, da ich nicht die finanziellen Mittel hatte bzw. nicht habe. So habe ich die Kinderbücher nur im Raum Dresden verkauft, trotz Webseite und Instagram-Account. Mein letztes Buch habe ich 2019 geschrieben. Die Kinderbücher folgen einem bestimmten Muster. Es sind zwei Mädchen, die sich in der Klasse kennengelernt haben und durch einen Plüschbären beste Freundinnen wurden. Sie erleben viele Abenteuer. Es ist ein deutsches Mädchen und ein Mädchen aus Mali.

Ich habe früher, in den 90iger Jahren, einen Fernlehrgang für Autoren gemacht. Davor habe ich schon Alltagsgeschichten geschrieben. Irgendwie wurde es mir in die Wiege gelegt, obwohl ich in der Schule Ausdruck gehasst habe. Irgendwelche Aufsätze schreiben, das war nicht meins. Später habe ich an meinem ersten PC angefangen, Tagebuch zu schreiben. Durch das Tagebuch-Schreiben fand ich immer mehr Worte, so entstanden dann Geschichten. Ich habe sie verschiedenen Zeitungen angeboten, aber es hieß: sie wären zu lang.

Daraus entwickelte sich die Idee, einen Fernlehrgang an der Akademie „Schule des Schreibens“ in Hamburg zu absolvieren. Leider hatte ich das Geld nicht. Der Lehrgang kostete damals 1000 DM. Die Kosten wurden mir dann glücklicherweise gesponsert, so dass ich ihn samt Abschluss absolvieren konnte.

Ein guter Freund sah sich meine Geschichten an und meinte: Ja, sie sind echt gut, daraus könnte man etwas machen.  Doch das Leben hielt großartige, aber auch negative Dinge parat, sodass ich erst 2014 wieder mit Schreiben begann.

Eine Assistentin von mir meinte, ich solle doch mal ein Buch verfassen. Daran hatte ich bis zu jenem Zeitpunkt noch nicht einmal gedacht. Ich habe aus irgendeiner Laune heraus eine Biografie geschrieben, aber in der dritten Person. Ich wollte, nie im Mittelpunkt stehen. Das Buch wollte keiner lesen, geschweige denn verlegen. Dann kam mir 2016 die Idee, ein Kinderbuch zu schreiben. Allerdings schreibe ich nicht erst ein Konzept, so wie es richtig wäre. Da würde mir die Lust am Schreiben vergehen. Ich habe so geschrieben, dass sich die Geschichte in meinem Kopf entwickelte und je weiter ich vorankam, desto sicherer wusste ich, wie es weitergeht. So konnte ich praktisch am laufenden Band schreiben, ohne mir Gedanken machen zu müssen. Vieles war dabei, was ich aus meiner Kinderzeit kannte, z.B. im Herbst die Kastanienmännchen basteln. Das konnte ich alles genau beschrieben. Über Ebay-Kleinanzeigen fand ich einen sehr guten Zeichner, der mir wunderschöne Bilder für meine drei Bücher herstellte.

Ich schreibe mit 2 Fingersystem am PC und jetzt an einem Laptop. Manchmal, wenn die Spastik zu stark ist, dann geht es nur mit einem Finger. Nun, nach all den Jahren geht das Schreiben ziemlich schnell. Ich weiß ja, wo jeder Buchstabe steckt.

Die Bücher heißen Kathleen und Batari. Das ist der Haupttitel! Die Titel der einzelnen Kinderbücher lauten: „Kathleen und Batari - Eine unerschütterliche Freundschaft“, „Kathleen und Batari - Aufregende Abenteuer“ und „Kathleen und Batari - Freunde für immer“.

Ich bin seit 2017 Christin. 2019 habe ich dann meine Berufung bekommen. Ich wurde gefragt, ob ich predigen würde. Ich habe mich erst einmal etwas überwinden müssen, da ich nicht, wie gesagt, unbedingt im Mittelpunkt stehen wollte. Im September 2019 habe ich mich entschieden, auf die Bühne zu gehen bzw. das Ganze erstmal anlaufen zu lassen. Ich habe also bei vielen Schulen und anderen Institutionen Klinken geputzt. Ich habe nachgefragt, ob man mich dort zum Vortrag haben möchte. Viele waren ablehnend. Manche schrieben gar nichts. Das St. Benno Gymnasium in Dresden wollte mich buchen. Meine Gemeinde wünschte sich meinen Vortrag, den ich dann auch gehalten habe. Leider kam für die anderen Schulen und Gemeinden Corona dazwischen, so dass einige noch in der Luft hängen. Aber eben auch noch nicht so viele, dass ich sagen könnte, dass ich viel zu tun habe. Deswegen habe ich mich dann entschieden Coach zu werden, um Menschen in ein selbstbestimmtes, positives Leben zu coachen. Egal in welchen negativen Situationen sie sind. Ich will ihnen helfen, ein schönes und erfülltes Leben zu führen und auch Hilfe anzunehmen.

Im Laufe meines Lebens habe ich viel durchgemacht. Mein Leben war wie eine Achterbahn, kann man sagen. Bei jedem Tiefpunkt habe ich die Chance genutzt, mich wieder herauszuarbeiten, mir weitere Ziele zu stecken und so ist es immer weiter vorangegangen. Man sollte nicht verzweifeln und mutlos werden, sondern, wenn es nicht anders geht, Hilfe annehmen, auch von Therapeuten oder von Psychologen. Wenn es körperlich ist, dann die Hilfe von Physiotherapeuten. Je nachdem, was man gerade durchmacht.

"Ich motiviere die Leute, nicht zu verzweifeln."

Auf YouTube habe ich längere und kürzere Videos eingestellt, in denen ich von mir und meinen Begebenheiten erzähle. Ich motiviere die Leute, nicht zu verzweifeln. Die Videos sind als kürzere Version auch auf Instagram.  Ich hatte damals, als ich den Instagram-Account und den YouTube-Channel erstellt habe, das Glück, dass viele Leute auf mich aufmerksam wurden. Sie boten mir Gespräche an, in denen sie mir zeigten, was ich gut mache und wo es noch hakt. Einer sagte mir, dass ich die YouTube-Videos länger machen und die Videos auf der Instagram-Seite kürzen sollte, wie das Licht fallen sollte und solche kleinen Tricks. Beim Filmen ist manchmal eine Assistentin dabei. Jetzt habe ich auch eine Ringlampe, mit der nun auch das Licht richtig ist. Unterhalb der Ringlampe ist eine Halterung für das Handy, so dass ich das selber steuern kann, wann ich das Video starte und wann ich es wieder beende.

An Diskriminierung ist seit Jahrzehnten nichts vorgefallen. Aber was ich letzte Woche erlebt habe, hat mich schon ein bisschen erschreckt. Ich habe bei einem Info-Webinar teilgenommen und mir dann ein Bewerbungsgespräch ergattert. Weil ich dachte, dass das Coaching-Angebot gut für mich ist. Es ging um Emotionen. Man hat mich angerufen und mir erzählt, worum es geht. Ich habe dann über mich erzählt. Und mein Gesprächspartner wurde immer leiser und leiser und leiser. Dann sagte ich, na ja die Spastik legt sich auf meine Stimme. Dann meinte er: Ja, das stimmt. Dann sagte er, dass sie mich aufgrund meiner Stimme nicht nehmen würden. Dass es sein kann, dass Menschen mich nicht verstehen, wenn sie 1:1 mit mir sprechen. Das ist nicht nachvollziehbar. Ich führe ja selbst Bewerbungsgespräche. Da kommt fast nie eine Nachfrage, weil jemand etwas nicht verstanden hat. Und wenn man etwas nicht versteht, kann man ja nachfragen. Das ist für mich eine Unart, dass man wegen der Stimme oder der Sprache einfach abgeschoben wird. Das war eine richtige Diskriminierung.

Insgesamt verbessert sich die Situation schon. Es gibt natürlich Menschen, die mich schief anschauen, wenn ich vorbeifahre. Aber das sehe ich nicht mehr. Als Kind habe ich es sehr stark wahrgenommen. Aber da war ich noch viel, viel spastischer. Und wenn meine Eltern mit mir durch die Stadt fuhren, war das schon ein Spießrutenlauf. Das war in den 1970er Jahren. Damals bin ich in meinem Kinderwagen ziemlich rumgesprungen. Gewandelt hat es sich, als ich meinen ersten Elektrorollstuhl bekam. Damit habe ich mich auch sicherer gefühlt. Außerdem kam mir die Idee, die Leute solange anzusehen bis sie verunsichert waren. Dann schauen sie automatisch weg. Das ging dann ganz schnell. Ich hatte da schon mehr Selbstbewusstsein.

"Außerdem wäre ich, irgendwann, gern vom Sozialamt unabhängig."

Für mich privat wünsche ich mir in der näheren Zukunft eine 3 Raum-Wohnung. Der zusätzliche Raum wäre mein Büro und gleichzeitig der Raum, in dem sich meine Assistentinnen aufhalten können. Denn irgendwann werden es ja mal 24h, die ich Betreuung brauche. Dann habe ich nicht unbedingt Lust 24 Stunden mit meiner Assistenz zusammen zu sein. Aber das ist im Moment nicht zu sehen, weil die Mieten zu hoch sind. Da spielt das Sozialamt nicht mit. Mein zweiter Wunsch wäre ein umgebautes Auto zu bekommen. Dann wäre ich nicht mehr auf den Behinderten-Transport angewiesen. Entweder fahre ich mit den öffentlichen Verkehrsmitteln oder wenn ich beispielsweise einen Tagesausflug unternehmen möchte, fahre ich mit dem Zug. Diese zwei Fahrten melde ich 3 Tage vorher an. Das funktioniert sehr gut. Es wäre natürlich entspannter, wenn man sich spontaner entscheiden könnte irgendwohin zu fahren. Ich kenne jemanden, der ein umgebautes Auto hat. Da möchte ich jetzt Details erfahren, was ich beantragen muss, um eines zu bekommen. Ich würde natürlich nicht selber fahren.

Außerdem wäre ich, irgendwann, gern vom Sozialamt unabhängig. Aber das ist wahrscheinlich Wunschdenken. Erstmal darf ich nur 100 oder 150 Euro als Coach oder durch den Vortrag dazuverdienen. Alles andere würde man mir von den Sozialleistungen abziehen.

Interview geführt am: 16.11.2021

Interview veröffetnlicht am: 04.01.2022

Link zum YouTube Kanal von Frau Walter: https://www.youtube.com/channel/UC-YjN7G6zb_qIL2vUla-3Xg