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Stephan Klose, Chemnitz

Ich finde, es wird Inklusion von Leuten gefordert, die überhaupt nicht wissen, was damit verbunden ist.

Gesichter der Inklusion

Mein Name ist Stephan Klose. Ich bin 36 Jahre alt. Ich arbeite hier im SFZ Förderzentrum Chemnitz in der dort ansässigen Berufsschule als offizieller Mediengestalter. Das bedeutet in meinem Fall, dass ich aufgrund meiner Behinderung, ich bin seit meiner Geburt blind, die ganze Gestaltung der Lehrmaterialien für unsere blinden Schüler übernehme. Das heißt die Aufgaben, die unsere Lehrer den Schülern geben wollen, übersetze ich von digitaler Normal-Schrift quasi in digitale Braille-Schrift. Ich übersetze dann die Arbeiten der Schüler, die in Braille schreiben, wieder zurück, damit die Lehrer diese wieder lesen können. Von meinen Kollegen bekomme ich gute Vorlagen, da ist es nicht mehr so aufwendig. Aber man muss sich schon Gedanken machen, gerade wenn es um Tabellen geht. Ich bereite sie so auf, dass sie für einen Blinden auch wirklich Sinn machen. Es macht wenig Sinn die 1:1 zu übernehmen. Es gibt immer wieder neue Herausforderungen. Man lernt auch immer wieder etwas dazu. Viele Themen sind ganz interessant.

Dann mache ich natürlich auch allgemeine Bürotätigkeiten, die hier in der Berufsschule anfallen, z.B. Telefondienst. Auch wenn mal eine Braille-Zeile nicht funktioniert. Dann werde ich meistens erstmal geholt, bevor sie die IT fragen. Die IT kennt sich hier bei uns ja zwangsläufig auch mit dieser speziellen Technik aus. Nicht so konkret wie ich es als Anwender kenne, das ist klar. Aber im Groben schon.

Ich arbeite vorwiegend mit dem Screen-Reader und der Braille-Zeile. Der Screen-Reader ist das Stück Software, die alles was auf dem Bildschirm angezeigt wird, in Sprache umwandelt. Auf den Schülerrechnern sind alle gängigen Screen-Reader installiert, z.B. JAWS, SuperNova, NVDA, damit die Schüler den Reader nehmen können, den sie gerne wollen und der mit der jeweiligen Anwendung am besten funktioniert. Das zweite ist dann das Stück Hardware, die Braille-Zeile, die dann das was auf dem Bildschirm an Text steht, in Braille-Schrift übersetzt. Das sind meine wichtigsten zwei Arbeitsmittel. Und dann natürlich noch der schöne Braille-Drucker, der schöne Tiger.

Zum Thema Inklusion habe ich ein gespaltenes Verhältnis.

Zum Thema Inklusion habe ich ein gespaltenes Verhältnis. Das klingt zwar alles wunderbar, aber gerade wenn man den Bildungsbereich sieht, in dem ich ja hier viel mitbekomme, ist es schwierig. Ich finde, es wird Inklusion von Leuten gefordert, die überhaupt nicht wissen, was damit verbunden ist. Es ist ja schön, dass sich Eltern behinderter Kinder hinstellen und sagen: Mein Kind muss an eine normale Schule. Sie wissen aber nicht, was es für das Kind bedeutet. Was bedeutet es tatsächlich für mich als Behinderter unter normalen Kindern zu sein. Das können Eltern gar nicht einschätzen. Die denken oft, sie tun ihrem Kind was Gutes. Das muss man ganz individuell betrachten. Man kann so etwas nicht einfach generell fordern. Man kann nicht einfach fordern: Wir müssen jetzt alle inklusiv beschulen. Das ist falsch aus meiner ganz persönlichen Sicht. Es fehlt dieses ganze fachspezifische Wissen, was an solchen Einrichtungen wie z.B. an diesem Förderzentrum erlangt wurde. Ich komme von verschiedenen Einrichtungen, die Grundschule war eine Spezialeinrichtung, ich habe mein Abi an einer Spezialeinrichtung in Königs Wusterhausen gemacht. Dieses ganze Wissen, der Leute, die dort vor Ort sind, geht doch mit Inklusion absolut verloren. Da kommen dann Einzelfallhelfer, die eine sozialpädagogische Ausbildung haben, die denken sie können Blinde und Sehbehinderte gut betreuen. Sie haben aber nicht das ganze Spezial- und Fachwissen dazu. Deshalb habe ich im Bereich Bildung ein gespaltenes Verhältnis zur Inklusion. Das ist meine Meinung für Blinde und Sehbehinderte. Es mag durchaus Fälle geben, wo es funktioniert.  Aber in den meisten Fällen funktioniert es einfach nicht. Darunter leiden dann am Ende die Kinder. Wir sehen es dann hier. Sie kommen dann plötzlich bei uns an und können einfach nichts. Sie müssen hier dann erst einmal eine blindentechnische Grundausbildung machen, weil sie in den 10-12 Jahren vorher das nicht gelernt haben. Eine spezielle Technik-Ausstattung für Blinde oder Sehbehinderte war nicht vorhanden oder sie haben sie nie bedient, weil es jemand gab, der das für sie gemacht hat. Wir haben Leute hier, die können kein Blatt in eine Punktschriftmaschine einspannen. Das hätten sie an einer Spezialschule gelernt. Denn dort sind sie einfach gezwungen, das zu machen. Die Lehrer wissen auch ganz genau: was ist möglich. Man kann von einem normalen Lehrer nicht verlangen, zu wissen, was kann ich von einem blinden Schüler fordern und wie fördere ich das dann auch, wie erkenne ich das Potenzial. Es sind ja nicht alle gleich. Der eine kann das schneller, der andere kann das andere besser. Aber darauf einzugehen, das kann man doch von einem normalen Lehrer, der noch 30 andere Schüler hat, gar nicht verlangen. Inklusion muss auch in beide Richtungen funktionieren. Es heißt ja nicht nur, dass ich den Behinderten integrieren bzw. inkludieren will/muss/darf/kann. Auch die anderen Leute müssen ja mit dieser Behinderung zurechtkommen. Man muss das wirklich individuell betrachten. Wirklich von Fall zu Fall. Das ist das Entscheidende. Man kann das nicht pauschal fordern. Das ist meine Meinung.

Im SFZ Förderzentrum bin ich im Betriebsrat die Schwerbehindertenvertretung. Ich bin der Vertrauensmann der Schwerbehinderten und vertrete sie in sämtlichen Belangen, die mit ihrem Arbeitgeber bzw. mit ihrem Arbeitsplatz auftreten. Ich habe gerade erst angefangen, deshalb muss sich das noch entwickeln.

Es wäre schön, wenn man zukünftig nicht mehr um ganz normale Rechte kämpfen müsste.

Es wäre schön, wenn man zukünftig nicht mehr um ganz normale Rechte kämpfen müsste. Um etwas, was für andere völlig normal ist, da permanent darum kämpfen zu müssen, das auch zu können oder daran teilnehmen zu können. Dass einfach Technik, die da ist, auch verbindlich genutzt werden muss., wie z.B. bei Filmen die Audiodeskription. Wenn ein neuer Film produziert wird, muss auch eine Audiodeskription gemacht werden. Egal, ob öffentlich-rechtlich oder privat, das muss für alle gesetzlich verbindlich sein. So dass wir am ganz normalen Leben teilnehmen können. Oder dass es möglich ist, digital an Bücher zu kommen. Das ist nicht ohne weiteres möglich. Jeder Bestseller, der veröffentlicht wird, ist nicht sofort in irgendeiner Form für mich verfügbar. Ich könnte ihn einscannen. Aber wer setzt sich hin und scannt einen 500 Seiten Roman ein? Das ist für mich wieder zusätzlicher Aufwand. Ein Buch sollte immer auch als eBook ohne Barriere verfügbar sein. Es gibt häufig eBooks, die für mich aber nicht lesbar sind. Das fehlt auch gesellschaftlich noch. Man macht etwas nicht nur, weil es gesetzlich verlangt wird, sondern man tut auch der Gesellschaft etwas Gutes. Das ist bei vielen noch nicht da.

Webseite des SFZ Chemnitz: https://www.sfz-chemnitz.de/

Interview geführt am: 14.03.2019

Interview veröffentlicht am: 20.09.2019