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Frau Münch, Lichtenau

Ich möchte mit dem Interview auch zeigen, dass man als Asperger Autistin auf dem ersten Arbeitsmarkt unterkommt. Das ist mir sehr wichtig, das zu zeigen. Das soll andere ermutigen.

Gesichter der Inklusion

Es ist schwierig für mich als Asperger Autistin völlig unvorbereitet in so ein Gespräch zu gehen, da ich es lieber habe, mich etwas vorzubereiten. Aber wir werden sehen, was dabei herauskommt.

Mein Name ist Katrin Münch. Ich bin 37 Jahre alt. Ich wohne in Lichtenau, im Landkreis Mittelsachsen. Das liegt im Dreieck Chemnitz, Dresden und Leipzig. Ich arbeite als Sachbearbeiterin im öffentlichen Personennahverkehr. Ich bin dort zuständig für 46 Schulen. Damit die Kinder im Landkreis Mittelsachsen, egal ob sie behindert oder nichtbehindert sind, in die Schule kommen. Es gibt eine Schülerbeförderungssatzung und nach der arbeiten wir. Es gibt bestimmte Mindestentfernungen für die Schüler, unterschieden nach Grund- und weiterführender Schule. Wenn die Eltern oder die Kinder Anspruch darauf haben, bekommen sie von uns einen Genehmigungsbescheid. Wenn sie den Eigenanteil bezahlt haben, erhalten sie dann über die Schule die Fahrkarte ausgehändigt, so dass die Eltern sich nicht noch um eine Fahrkarte kümmern müssen. Wir betreuen in unserem Landkreis auch Schüler mit Inklusionshintergrund. Grundsätzlich wird reiner ÖPNV bewilligt. Wenn es keinen ÖPNV gibt und die Schüler besuchen die nächstgelegene Schule, dann haben sie Anspruch auf freigestellten Schülerverkehr, d.h. eine spezielle Beförderung mit einem Taxi  oder mit einem Kleinbus zur Schule. Wenn auch das nicht geht oder wenn die Kinder, die nicht nächstgelegene Schule besuchen, dann können die Eltern auch die Kosten für die Fahrt mit dem privaten PKW bei uns geltend machen. Das betrifft auch wieder beide Schülergruppen - nicht behindert und behindert.

"Eltern versuchen jetzt eher ihre Kinder auf eine „normale Schule“ zu schicken. Sie wollen ihren Kindern nicht den Stempel aufdrücken, eine Förderschule besuchen zu müssen."

Durch die Änderungen der Schulgesetze, so dass eigentlich Inklusion auch an einer „normalen“ staatlichen Schule gemacht werden kann, merkt man schon, dass mehr behinderte Kinder an eine „normale Schule“ gehen. Eltern versuchen jetzt eher ihre Kinder auf eine „normale Schule“ zu schicken. Sie wollen ihren Kindern nicht den Stempel aufdrücken, eine Förderschule besuchen zu müssen. Sicherlich gibt es auch Eltern die wollen, dass ihr Kind auf eine Förderschule geht, aber das spielt für uns keine Rolle.

Ich selber bin auf eine „normale Schule“ gegangen. Ich habe erst eine Ausbildung zur Werkzeugmechanikerin gemacht. Ich konnte das aber aufgrund einer Fehlhaltung der Wirbelsäule nicht mehr machen. Ich habe mir aber gesagt, ich will die Ausbildung unbedingt fertig bekommen, damit ich eine Ausbildung habe. Ich habe dann zwischen 2008 und 2010 noch mal eine Umschulung zur Kauffrau im Gesundheitswesen gemacht. So kenne ich mich auch etwas mit Sozialgesetzen aus. Und das hilft mir auch persönlich, wenn ich irgendwelche Anträge stelle. Stichwort Teilhabe am Arbeitsleben oder Teilhabe am gemeinschaftlichen Leben. Ganz konkret ging es um einen ergonomisch geformten Bürodrehstuhl. Das war ein langer Kampf. Der jetzt erst von der zweiten Stelle bewilligt wurde, durch das Integrationsamt. Die Rentenversicherung hat davon abgesehen, den Drehstuhl zu fördern.  

Weil ich seit zwei Monaten weiß, dass wir das Interview machen, konnte ich mich gedanklich etwas darauf vorbereiten. Inhaltlich nicht, da ich vorher keine Fragen hatte. Wenn ich vorher Fragen gehabt hätte, wäre es ganz gut gewesen. Aber ich soll ja einfach nur erzählen, es ist völlig okay. Ich konnte die Nervosität heute früh und vorhin ganz gut ausblenden. Ich brauche definitiv ganz klare Strukturen. Ich brauche einen gewissen Handlungsrahmen, wo ich weiß, die Aufgaben kann ich machen. In dem Rahmen bin ich flexibel. Aber dann wird es schon schwierig, wenn doch mal außerhalb des gedachten Rahmens etwas anderes dazwischen kommt. Meine Kollegen versuchen das zu beachten. Ich brauche schon klare strukturierte Anweisungen, am besten schriftlich.

Ja, in der Kommunikation wird es dann schon ein bisschen schwierig. Durch die Diagnose Asperger-Autismus, auch wenn sie manchmal nicht so klar bemerkbar ist, habe ich schon meine Schwierigkeiten in der Kommunikation und in der sozialen Interaktion. Zum Beispiel musste ich jetzt Anhörungen schreiben, das war eine Katastrophe. Meine Teamleiterin muss dann noch einmal drüber schauen, über das Geschriebene. Das ist schon manchmal schwierig für mich und meine Teamleitern.

"Ich bin jetzt glücklich mit dem Beruf, den ich habe."

Ich kann manchmal schwer zwischen den Zeilen lesen. Wenn ein ganzer Zaun angeflogen kommt, dann bekomme ich es schon mit, aber einzelne Zaunlatten sind schwierig. Ich versuche zwar immer freundlich zu sein und mit jedem gut klar zukommen, aber manchmal gibt es Unstimmigkeiten. Im Großen und Ganzen komme ich auf Arbeit gut klar.

Ich bin durch ein Praktikum zu meiner Arbeitsstelle gekommen. Ich war vorher aufgrund einer Depression im beruflichen Trainingszentrum in Dresden. Ich habe zu der Zeit noch in Dresden gewohnt. Und weil ich wieder zurück wollte, habe ich es einfach auf gut Glück mit dem Praktikumsplatz versucht. Am Anfang war er befristet auf einen Monat. Daraus wurden dann 6 Monate Praktikum und dann eine befristete Arbeitsstelle für ein Jahr, die nochmal verlängert worden ist bis zum Jahresende 2016. Und seitdem bin ich unbefristet da. Und weil ich schon damals gesagt habe: ich bin mit der Arbeit extrem unterfordert, auch geistig unterfordert, hat sich irgendwann die Möglichkeiten ergeben, die Stelle als Sachbearbeiterin zu bekommen. Mir kam natürlich sehr entgegen, dass ich die Orte die ich betreue sehr gut kenne. Da fällt mir die Sachbearbeitung bzw. Antragsprüfung nicht wirklich schwer. Ich bin jetzt glücklich mit dem Beruf, den ich habe.

"Ich möchte mit dem Interview auch zeigen, dass man als Asperger Autistin auf dem ersten Arbeitsmarkt unterkommt. Das ist mir sehr wichtig, das zu zeigen. Das soll andere ermutigen."

Ich finde es ganz gut, dass das Thema Inklusion mehr in die Öffentlichkeit kommt, dass es sichtbarer wird. Weil ich denke, dass alle etwas davon haben. Ich habe zwar einen Schwerbehindertenausweis, aber ich sehe mich nicht als behindert an, weil man es körperlich nicht sieht. Mit Inklusion selber habe ich schon etwas zu tun. Ich habe eine tolle Arbeitsstelle. Ich möchte mit dem Interview auch zeigen, dass man als Asperger Autistin auf dem ersten Arbeitsmarkt unterkommt. Das ist mir sehr wichtig, das zu zeigen. Das soll andere ermutigen.

Durch mein Spezialinteresse „ÖPNV“ bin ich auch in das Projekt „ÖPNV für alle“ gekommen. Bisher war ich einmal mit unterwegs. Das war sehr interessant, weil unterschiedliche Leute zusammenkommen. Also ich finde es total spannend, dass man hinsichtlich der Barrierefreiheit nun endlich was tut. Es gibt zwar das Gesetz zur Barrierefreiheit, aber es gibt noch so viel zu tun. Deshalb liegt mir das Projekt ÖPNV sehr am Herzen. Ich möchte meine eigenen Erfahrungen mit einbringen. Ich sehe es am Bahnhof Oberlichtenau, da wo ich immer in den Zug einsteige: ein Bahnsteig in Mittellage mit einer Überführung, nur mit Treppen, ohne Aufzug, ist schwierig für die alten Leute, auch für die Leute mit Kinderwagen oder mit Fahrrad. Ich sehe ab und zu einen Papa mit Fahrrad und seinen zwei Söhnen. Der eine ältere Sohn hat ein eigenes kleines Fahrrad. Da wird es natürlich schwierig, zwei Fahrräder hoch zu bekommen. Deshalb hatte sich dann der VMS, der Verkehrsverbund Mittelsachsen, dazu entschlossen schon mal die Vorplanung für den Umbau des Bahnhofs anzugehen, weil die Deutsche Bahn nicht aus dem Knick kommt. So dass wenigstens der Bahnhof, der relativ gut frequentiert ist, barrierefrei ausgebaut wird. Dort ist auch eine Oberschule nebenan, wo auch Inklusionskinder unterrichtet werden. Soweit ich informiert bin, soll es nächstes Jahr losgehen.

Interview geführt am: 28.05.2019

Interview veröffentlicht am: 08.11.2019